FHS gegen kritische Studierende
Die Fachhochschule St. Gallen (FHS) will kritische Stimmen unterbinden. Sie hat die „Lange Nacht der Kritik“ aus ihren Räumlichkeiten verbannt. Es steht schlecht um Kritik in der Bildung.
Die (Fach-)Hochschullandschaft hat sich mit der Bologna-Reform in einen neoliberalen Sog begeben. Bildungsinstitute richten ihre Wissensproduktion immer stärker an den Marktbedürfnissen aus und entledigen sich der letzten humanistischen Bildungsideale. Ein besonderer Ausdruck dieser Entwicklung ist die „Lange Nacht der Karriere“ an Hochschulen, mit welcher unmissverständlich ein neuer neoliberaler Studierenden-Typus adressiert wird, der seiner Passung zur Kapitalverwertung entgegenstrebt. Gegen diese Tendenz organisieren Studierende seit drei Jahren die „Lange Nacht der Kritik“ und dies mittlerweile an den Universitäten Zürich, Bern und Basel und an der Fachhochschule St. Gallen.
Ein anderer Ausdruck der neoliberalen Umformung des Hochschulwesens ist, dass sich die Bildungsinstitute in Konkurrenz zueinander aufstellen und sich um klare Profile im Kampf um die Bildungsmarktanteile bemühen. Offenbar versucht die FHS den aktuellen rückschrittlichen Zeitgeist kreativ mitzugestalten und profiliert sich als erste Bildungsinstitution mit der Unterbindung der Langen Nacht der Kritik in ihren Räumlichkeiten. Das Verbot ist eine direkte Reaktion des Rektors Prof. Dr. Sebastian Wörwag und der Leiterin des Fachbereichs Soziale Arbeit Prof. Dr. Barbara Fontanellaz auf eine Protest- und Informationsaktion des Forums für kritische Soziale Arbeit (Kriso) auf dem Gelände der FHS. Diese hatte mit einer Transparent-Aktion und Flugblättern auf die drohende Ausweitung von Überwachungskompetenzen durch Sozialversicherungen und private Versicherungen (Referendum gegen „Sozialdetektive“) aufmerksam gemacht. Damit haben die AktivistInnen als Profesionelle der Sozialen Arbeit fachlich Position bezogen und insbesondere Studierende der Sozialen Arbeit ansprechen wollen. Obwohl diese Aktion formell und inhaltlich nichts mit der Langen Nacht der Kritik zu tun hat, reagierte die FHS-Leitung mit dem Verbot der letzteren. Und ihre Begründung spricht Bände über den Missstand und den Durchmarsch neoliberaler Ideologie in der aktuellen Bildungspolitik: Die FHS sehe sich „wirtschafts- sowie sozialpolitisch einer Mehrperspektivität verpflichtet. Sie befähigt ihre Studierenden zu differenzierter Reflexion und fördert eine offene Diskurskultur. Als Organisation des staatlichen Bildungswesens bezieht sie selbst öffentlich keine politische Position.“
Es hat tatsächlich realsatirisches Potential, dass eine FHS-Leitung die Lange Nacht der Kritik mit dem Verweis auf wirtschafts- und sozialpolitische Mehrperspektivität verbietet – eine Veranstaltung, die ja eben gerade eine Reaktion ist auf den privilegierten Sonderzugang an Hochschulen für so wirtschafts- und sozialpolitisch neutrale Firmen wie KPMG, pwc oder accenture. Eine Hochschulleitung, welche einer Veranstaltung über den Zusammenhang von Bildungsmarkt und dem Aufkommen des Begriffs des Lebenslangen Lernens (so die Veranstaltung der Langen Nacht der Kritik) den bildenden Charakter abspricht – ja diese sogar in ihren Räumlichkeiten verbietet – und sich hingegen nicht zu schade ist, ihr Bildungsverständnis durch „Meet and Greets“ mit global führenden Unternehmens- und Steuerberatern, durch „Fotoshootings“ mit „Career Center Teams“, durch Veranstaltungen zur „praktischen Anwendung von mentalen Techniken“ im Bewerbungsprozess und Veranstaltungen zur ganz mehrperspektivischen Beantwortung der Frage, ob Drogen ein „Hope or Hype“ für die Selbstoptimierung im Studium darstellen zu pervertieren, ist im Bildungswesen vielleicht einfach im falschen Business.
Wir sind uns mehr als bewusst, dass ein politisch rauer Wind weht. Der neoliberale Angriff auf die Gesellschaft hat auch die Bildungsinstitutionen unter finanziellen Druck gebracht. Und das rasante Wiederaufkommen reaktionärer und faschistischer politischer Strömungen in Europa und weltweit setzt auch Schulleitungen politisch unter Druck. Genau deshalb braucht es Widerstand gegen diese ökonomischen und politischen Zerstörungskräfte und das Organisieren der Langen Nacht der Kritik ist ein Teil dieses Entgegentretens. Dabei versucht die Lange Nacht der Kritik eine alternative –fachliche und wissenschaftliche – Perspektive inmitten einer absolut hegemonialen Präsenz wirkungsmächtiger neoliberaler Ideologien zu bieten. Wer angesichts der aktuellen politischen Situation, in welcher eine SVP für ihre rassistische Propaganda einfach mal das Titelbild der auflagenstärksten Tageszeitung kauft und in welcher eine UBS sich einfach mal ein Institut der Uni Zürich aufkauft (um nur zwei Beispiele zu nennen) selbstorganisierte kritische Veranstaltungen von Studierenden als tendenziös verurteilt, müsste wohl hinter die Geschichtsbücher.
Deshalb diskutieren wir die Situation der FHS heute auch an der Langen Nacht der Kritik an der Universität Zürich und machen unsere Besucher*innen darauf aufmerksam. Wir wünschen unseren Kolleg*innen in St. Gallen heute viel Erfolg bei der Durchführung der Langen Nacht der Kritik im alternativen Raum des Kulturkonsulats.
Nicht so mehrperspektivische Informationen und Reaktionen finden sich hier:
https://www.saiten.ch/fhs-keine-lust-auf-kritik/
https://www.saiten.ch/soziale-arbeit-ist-politisch/
https://www.saiten.ch/der-paternalistische-bilck/
www.kriso.ch
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